Wenn wir uns in diese Frage vertiefen, ergibt sich schnell die Erkenntnis, dass man geneigt ist, in kaufmännischer Funktion zu allererst die Auswirkungen des Preises auf den Absatz eines Produktes oder Handelsobjektes zu bedenken und erst in zweiter Linie das darin enthaltene Ertragspotential strukturell zu betrachten. Diese priorisierte Sichtweise findet man besonders oft bei vertriebsorientierten Fachleuten, die sich naturgemäß gerne und vorrangig den Umsatzbetrachtungen hingeben.
Diese Haltung wird leider auch dadurch gestützt, dass der Umsatz allzu oft als alleiniges Kriterium für Erfolg und angeschlossene Prämienzahlung zugrunde gelegt wird. Ob mit gesteigertem Umsatz auch der Ertrag angemessen mitwächst oder dabei eher ein unverhältnismäßig gesteigertes Risiko aufgebaut wird, bleibt vielfach außer Betracht. Umsatz puschen um jeden Preis ist aber auf Dauer gesehen keine gute betriebswirtschaftliche Strategie.
Die Auswirkungen einer Preissetzung im Rahmen einer mehr oder weniger vollkommenen Konkurrenzsituation oder Monopolstellung hinsichtlich der Absatzchancen kennen wir aus der wirtschaftstheoretischen Lehre. Dies wollen wir im vorliegenden Thema nicht weiter vertiefen, sondern uns ausschließlich der praxisbezogenen und differenzierten Betrachtung der anderen Seite, d.h. der Seite der Ertragswirkungen eines Preises zuwenden.
Diese Betrachtungen sind weitgehend von den Aspekten der Teilkostenrechnung geleitet, und diese wird bei tiefergehenden Überlegungen zum Thema Kalkulation zwangsläufig eine bedeutende Rolle spielen müssen.
Insbesondere jedoch sollten wir einen Strukturrahmen herausarbeiten, der uns dann ermöglicht zu beurteilen, ob ein am Markt gesetzter Preis für uns hohe, mittlere oder schlechte Ertragschancen eröffnet. Dabei ist es für die so ausgerichteten Betrachtungen unerheblich, ob der am Markt erzielbare Preis durch einen weitgehend vollkommenen Markt oder durch einen mehr oder weniger beherrschenden Marktteilnehmer gesetzt wird.
Im betriebswirtschaftlichen Alltag bedeutet diese Betrachtungsweise ganz einfach, absatzseitig für Preisverhandlungen besser gerüstet zu sein, da die Verantwortlichen die Schmerzgrenzen klar in abgestufter Form kennen und nicht einer schwelenden Ungewissheit unterliegen, die dann dazu führen könnte, dem Drängen der Gegenseite allzu sehr nachzugeben.
Zwischen preistheoretisch absoluter Untergrenze und üppigen Ertragsaussichten liegt ein Feld der Handlungsalternativen, für welche es möglichst klar skalierte Maßstäbe und Kennzeichnungen zu erarbeiten gilt. Als visuell ausgeformtes Leitbild kann hier eine ampelähnliche Darstellung dienen, die, jedoch auf vier Stufen erweitert, wie folgt aussehen sollte:
Preisstufe I Diese Preisstufe beschert nicht nur die Vollkostendeckung zu Ist- bzw. Plankosten, sondern auch die Verwirklichung des sogenannten Werterhaltungsprinzips, d.h. Vollkostendeckung bei Ansatz von Wiederbeschaffungskosten (Plankosten) + angestrebtem Gewinn. Mit der tiefgrünen Kennzeichnung wird signalisiert, dass „fette“ Gewinne mit diesem Preis zu verwirklichen sind.
Preisstufe II Diese Preisstufe beschert Vollkostendeckung zu Ist- bzw. Plankosten, jedoch noch nicht die Verwirklichung des Werterhaltungsprinzips, d.h. kein Ansatz von Plankosten in Höhe der Wiederbeschaffungspreise. Mit der hellgrünen Kennzeichnung wird signalisiert, dass mit diesem Preis mindestens Vollkostendeckung realisiert wird und ein Umsatzzuwachs auf dieser Preisbasis unbedingt bereits zu erstreben ist.
Preisstufe III Diese Preisstufe beschert keine Vollkostendeckung zu Ist- bzw. Plankosten, sondern nur mindestens die Deckung der variablen Kosten. Mit der gelben Kennzeichnung wird signalisiert, dass mit diesem Preis die fixen Kosten nur teilweise gedeckt werden. Ein Umsatzzuwachs ist nur dann anzustreben, wenn keine anderen Produkte die vorhandenen Kapazitäten mit besseren Deckungsbeiträgen ausfüllen. Jedoch ist es besser, leere Kapazitäten mit diesem Produkt zu füllen und damit zumindest teilweise fixe Kosten zu decken, als darauf ganz zu verzichten. Diese Preisstufe verlangt erhöhte Aufmerksamkeit dahingehend, ob das Produkt demnächst durch andere Produkte mit höherem Deckungsbeitrag zu ersetzen ist. Langfristige Lieferverträge einzugehen, ist bei dieser Preiskonstellation nicht zu empfehlen.
Preisstufe IV Diese Preisstufe beschert nicht einmal alle variablen Kosten, d.h. die absolute Preisuntergrenze wird unterschritten, das Produkt darf zu diesem Preis nicht verkauft werden, da mit jedem verkauften Exemplar der Gesamtverlust erhöht würde. Allenfalls strategische Marketingüberlegungen können dazu verführen, mit diesem Preis trotzdem, aber eben nur vorübergehend und möglichst kurzzeitig, in den Markt einzutreten. Die rote Kennzeichnung signalisiert, dass dieses Engagement am Markt aus gewinnorientierter Sicht zumindest längerfristig keinesfalls zulässig ist.
An dieser Stelle glauben wir uns vorstellen zu können, dass manche Leser(innen) die Stirn in Falten legen und sagen: "Alles schön und gut, aber dies ist weit von meinen alltäglich betrieblichen Gegebenheiten und Voraussetzungen entfernt. In der Praxis verlasse ich mich, was Preise anbelangt, vor allem auf mein Gespür aus jahrelanger Erfahrung. Das Ergebnis sehe ich dann im jährlichen Takt in meinen Jahresabschlüssen."
Spiel und Spannung mit jährlichem Überraschungserlebnis mag ja schon interessant sein, aber noch interessanter ist es, die Chancen und wirtschaftlichen Geschehnisse mit möglichst klarem Blick im Griff zu halten und zielsicher zum Erfolg zu führen.
Der Ausdruck „Kalkulation al dente“ soll in diesem Sinne vermitteln, dass ein feines, aber verlässliches Gespür für Struktur und Flexibilität einer Preissituation äußerst hilfreich sein kann, wenn es gilt, Handlungsstärke mit blitzschnellen und trotzdem treffsicheren Entscheidungen zu zeigen.
Wir freuen uns, wenn Sie mit uns darüber diskutieren und nehmen gerne Ihr Feed back entgegen.